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INSGEHEIM

Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal…Nein, wirklich nicht, sein Gedächtnis ließ ihn jämmerlich im Stich. Seit gut einem Jahr lebte er nun in diesem Seniorenstift. Es war ihm schwer gefallen, seine vertraute Umgebung aufzugeben und sich hier in einem kleinen 2-Zimmer-Appartement einzugewöhnen. So viele Dinge hatte er zurücklassen müssen, hatte sich entscheiden müssen, was er mitnehmen wollte oder besser konnte. “Es ist ein bisschen wie sterben”, hatte er zu seinen Kindern gesagt, die nicht müde wurden, all die Vorteile aufzuzählen, die sein neues Leben mit sich bringen würde. Es dauerte einige Zeit, bis er sich mit der Situation abgefunden hatte. Die Tage schienen sich oft endlos lange hinzuziehen und obwohl er viel las, spazieren ging, Kontakte pflegte mit Mitbewohnern, verspürte er eine vorher nie gekannte Langeweile und Lebensüberdruss. Immer häufiger ertappte er sich, wie er seine Tage plante, wie er sich gezielt überlegte, mit welchen Aktivitäten er sie füllen könnte.

Und dann? Er hatte nicht gewusst, dass Neugier ihn dermaßen beflügeln konnte. Die kleine Wohnung am anderen Ende des Flures war vor einigen Wochen frei geworden. Seitdem gingen dort die Handwerker ein und aus. Die Türen standen tagsüber auf, es wurde gehämmert, gesägt, gebohrt. Gespannt verfolgte er die komplette Renovierung. Ja, er war auf dem Laufenden, hatte viele Gelegenheiten genutzt, um sich persönlich einen Eindruck zu verschaffen und fand auch, als der Maler endlich fertig war, dass alles sehr geschmackvoll hergerichtet worden war.

Wer würde dort einziehen? Diese Frage beschäftigte ihn ungemein. Sie sollte schnell beantwortet werden, denn schon zwei Tage später stand ein Möbelwagen vor der Tür. Sieben kurze Spaziergänge unternahm er an diesem Tag, um einen Vorwand zu haben, den Fortschritt des Umzugsgeschehens verfolgen zu können. Worauf er wirklich lauerte, war, endlich der Person zu begegnen, die hier wohnen würde.

Enttäuscht und ein wenig missmutig saß er abends vor dem Fernseher. Er zappte durch die Programme, als es auf einmal mehrmals laut an seiner Tür klopfte.  Als er öffnete, stand ein hochgewachsener, leicht vollschlanker älterer Herr da. Mit der rechten Hand stützte er sich auf einen Stock, in der anderen Hand hielt er eine Flasche Portwein. “Ich bin der Neue, Georg Tiedemann, spielen Sie Schach? Ich dachte, wir trinken schon mal so’n Kleinen vorweg, auf gute Nachbarschaft sozusagen…”   Fassungslos sah er den Mann an, es verschlug ihm die Sprache, so dass eine unangenehme Stille entstand. Herr Tiedemann reagierte dann aber auf die Stummheit seines Gegenübers. Um einiges lauter und deutlicher in der Aussprache  begann er erneut: “Ich wohne jetzt hier, ich bin der Neue…”

Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so enttäuscht gewesen war. Hatte er doch in den letzten Wochen insgeheim damit gerechnet, dass eine bezaubernde kleine Lady da einziehen würde. Was hatte er sich alles ausgemalt…interessante Gespräche, Theaterbesuche, eine gemeinsame Reise, das eine oder andere abendliche Gläschen Rotwein bei Kerzenschein, vielleicht sogar ein wenig Zärtlichkeit…  All das schwirrte in Windeseile in seinem Kopf umher und nur im Zeitlupentempo gewann er seine Fassung wieder.

Steif und förmlich hörte er sich sagen: “Kommen Sie bitte rein, Herr Tiedemann, ich bin nicht schwerhörig.”

Urlaub

Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal
mit ihr in den Urlaub gefahren war. Nein, wirklich nicht, sein Gedächtnis ließ ihn jämmerlich im Stich. Waren sie nicht in den achtziger Jahren zuletzt zusammen in Italien gewesen, am Mittelmeer, an der Adria? Oder doch Ende der siebziger, als er in seinem selbst gebauten Boot auf sie gewartet hatte? Gewartet und gewartet, wo blieb sie denn? Sie war geschwommen, um ihr Leben geschwommen zu ihm, denn die Distanz zwischen dem Ufer und seinem Boot war immens und sie musste durch ein Meer von Quallen, das sie wie ein glitschiger rötlich-weißer Teppich umwaberte, der größer und immer größer zu werden schien, je weiter sie an das Boot heran schwamm. Sie hatte ihn gerufen, vor Grauen und Ekel geschrieen, er möge ihr helfen, doch er hatte sie nicht gehört. Gelangweilt saß er an einem halb verrosteten Karabinerhaken, den er reparierte, als sie bald starr vor Angst und völlig entkräftet endlich ins Boot kletterte. Nicht einmal die Hand hatte er ihr gereicht vor lauter Ärger und Ungeduld. Lächerlich findet er noch heute jene Traumatisierung, die sie dadurch entwickelte. Nie wieder will sie im Meer baden.

Jetzt, im Sommer, dürstet es sie wie jedes Jahr danach, mit ihm in den großen Ferien zu verreisen, auszuspannen, die Seele baumeln zu lassen, etwas anderes zu sehen und zu erleben, das weiß er. Seit bald dreißig Jahren dasselbe. Dabei will er in diesem Sommer das Bad richten. Alles soll grunderneuert werden. Und eine Fußbodenheizung soll hinein, das entspricht seinen Vorstellungen, warme Füße, auch im Winter.

Wo ist sie denn nur wieder?, überlegt er, als er die zerlesene Tageszeitung achtlos auf den Couchtisch wirft. Wieder mal einkaufen? Mit Sicherheit.

Flugs erhebt er sich aus seinem braun ledernen Ohrensessel, hastet auf die Badezimmertür zu, reißt sie auf, scheucht die alte Katze, die er noch nie leiden konnte, rasch vom Fensterbrett, rafft eilends gebrauchte und frische Handtücher, Bademäntel, Duschvorlagen, soviel er tragen kann, aus den vier Fächern der Regale und von den Haken, rennt ins Schlafzimmer, wirft alles auf die Betten. Dreimal muss er gehen, um diese Dinge zu beseitigen. Schnell, schnell, denn jeden Moment kann sie kommen. Den eilig herbei gesuchten Kaminholzkorb füllt er hurtig mit Duschgel, Badeschaumfläschchen, Seifenpackungen, Zahnpastatuben, Zahnbürsten, Wattestäbchen, Haarbürsten, Kämmen, Handspiegeln, diversen Cremes und Parfumflaschen. Wieviel hat sie nur von diesem teuren Zeugs? Wo er doch immer nur eines benutzt, wozu sie ihn dauernd anhält. Den vollen Weidenkorb hebt er fast atemlos zurück ins Wohnzimmer, nun noch die Klobürste daneben. Und jetzt geschwind die Dekoartikel auf den Kaminsims, diverse Leuchter, Schalen, Karaffen, Figuren und Figürchen, die Bilder der beiden Söhne. Das waren noch Zeiten! Was sie so alles angehäuft hat, es nimmt kein Ende!, schimpft er laut und verärgert und ackert und ächzt weiter und stöhnt auf, sie mit ihrer Quallenphobie und dann Urlaub? Mit ihm? Wohin denn? Albern.

Der Akkuschrauber muss her, wo ist er, wo? Den hatte er neulich zur Reparatur der Waschmaschine benutzt. Da, im Keller, rechts unter der Treppe, vergessen, liegen gelassen, aber egal, er hat ihn gefunden. Und schon ist er dabei die Spiegelschränke auszubauen, gefolgt von Lampenschirmen, Handtuchstangen, Toilettenpapierhalter und sämtlichen Messinghaken. Schnell bringt er Fassungen an, denn er benötigt dringend Licht.

Bevor er die schmiedeeiserne Gardinenstange demontieren kann, nimmt er die weiße Chiffongardine ab, trägt sie, diesmal langsam und vorsichtig, in seinen Armen vor sich her und legt sie sorgfältig, beinahe behutsam über seinen Sessel und streicht sie glatt, ja streichelt sie fast und denkt: Wie ein Brautkleid, wie ihr Brautkleid damals.

Angestrengt wuchtet er als nächstes die beiden Badezimmerschränke auf den Flur, der Schweiß rinnt ihm inzwischen von Stirn und Schläfen. Sie ist immer noch nicht zurück, freut er sich jetzt, und ich habe schon so viel geschafft! Es folgen der große Wandspiegelschrank und die Duschverglasung, beides verfrachtet er unter Mühen in der Waschküche des Kellers. In seinem Werkzeugkasten findet er Blindstopfen, die er sorgfältig nach der Demontage der Armaturen auf die Wasseranschlüsse von Toilette und Waschbecken schraubt, beide stellt er wo, ah, in der Garage unter. Den vorher entleerten Toilettenspülkasten deponiert er schnaufend in einer Ecke des Gartenschuppens. Nur die Wanne wird er nicht allein aus dem Bad befördern können, hierzu benötigt er die Hilfe des Nachbarn oder besser die des Mannes ihrer Freundin? Sollte er diesen Kompromiss eingehen, ihr zuliebe?

Als sie vom Einkaufen nach Hause kommt, vernimmt sie noch vor der Haustür ohrenbetäubenden Baumaschinenlärm. Im Flur ihres Hauses erwartet sie bereits eine graue Staubschicht. Entsetzt öffnet sie die Badezimmertür und ist im Nu schmutzbedeckt.

Handwerker sind überflüssig!, jauchzt er erfreut, vor Anstrengung hochrot im Gesicht, Haare und Bart weißgrau vor Staub, als er sie erspäht, unnütz und teuer sind sie und machen nur Dreck. Selbst ist der Mann mit seinem Freund, dem Bosch-Hammer!

Sie schweigt und zieht sich ermattet in den Flur zurück. Das ist er, mein diesjähriger Urlaub, überlegt sie. Abends würde sie mit ihrer Freundin telefonieren.

Copyright by Xenia

Unsere Wochenendlektüre „Ein Start – viele Stories“ ist im Anmarsch. Ich bin gespannt auf viele Geschichten, die die teilnehmenden AutorInnen geschrieben haben.

Also, bleibt dran – stay tuned – ab 12.00 Uhr könnt ihr hier alle Beiträge abrufen, die folgendermaßen beginnen:

Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal… Nein, wirklich nicht, sein Gedächtnis ließ ihn jämmerlich im Stich.

Viel Spaß beim Lesen!

Herzlichst – eure Donna

…und Messerchen.

Diese Woche war ich zu Gast bei der Designerin Christiane Held. Das klingt jetzt ganz schön abgehoben, ist es aber nicht. Ich kenne Christiane seit unserer gemeinsamen Schulzeit – wir haben gemeinsam gebüffelt und auch geschwänzt (ganz selten!!!).

Nun, heute präsentiere ich euch mal einen kleinen Einblick in ihren neuesten Entwurf – es ist eine Küchenlampe.

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Liebe Mitblogger!

Ich lade euch herzlich ein zu einem Kurzprosa-Schreibprojekt, das folgendermaßen läuft:

1. Die vorgegebenen Anfangssätze lauten:

Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal… Nein, wirklich nicht, sein Gedächtnis ließ ihn jämmerlich im Stich.

2. Ihr schreibt eine Geschichte weiter, die bis Freitag, dem 24.Juli 2009 – 12.00 Uhr fertiggestellt sein soll. Ihr postet die Geschichte in eurem Blog – nicht früher als zum angegebenen Termin!

3. Alle Teilnehmer können dann über Donna schreibt abgerufen werden, weil ich diese dann mit entsprechendem Link poste.

4. Ob das so funktionieren kann, das weiß ich noch nicht – Erfahrung macht klug.

5. Ob während der Ferienzeit jemand mitmacht, das kann ich auch nicht abschätzen, vielleicht äußert ihr euch dazu…

6. Bitte benutzt die Kommentarfunktion, um mir mitzuteilen, ob ihr an diesem Projekt teilnehmen wollt.

7. Viel Spaß!

8. Bitte ruft die Kommentare auf, denn da habe ich das Projekt noch einmal ausführlicher beschrieben.

Ok, bis jetzt werden ihre Schreibwut( ! = bestimmt / ? = mal sehen…) ausleben:

Sunny!
Babsi!
Renate!
April!
Brigitte!

Donna!

chinomso!

Marga!

Wildgans!

Follygirl!

LadyArt!

Xenia!

bigi!

Anguane???

Giocanda?

Sonnenwanderin zu 50%

piri?

Wolfgang?

Ich freue mich auch schon auf viele unterschiedliche Geschichten – und vielleicht erzählt ihr es weiter, das Schreibprojekt, das jetzt jeden Monat stattfinden wird.

Herzliche Grüße – Donna

Sie steht an der Kasse. Der Rechnungsbetrag wird laut von der Kassiererin gesagt, das ist kein Problem, hören kann sie ausgezeichnet – aber sehen?? Eitel wie sie ist, hat sie ihre Gleitsichtbrille ins rotgetönte Haar gesteckt und kann jetzt natürlich mal wieder diese verflixten 5-Cent-Stücke von den 2-Cent-Stücken nicht unterscheiden.

Ok, Brille auf die Nase geschoben, zu der Kassiererin gemurmelt: „Alt darf man nicht werden, dann braucht man all diese Prothesen – schrecklich!“

„Aber Sie sind doch noch so jung“, sagt die Dame an der Kasse, „ich würde Sie nicht älter als vierzig schätzen!“

Das geht ihr natürlich runter wie Öl…

„Naja“, sagt sie, „wenn man bedenkt, dass ich stramm auf die Sechzig zugehe…“, entgegnet sie ganz lässig.

Sie ist zweiundfünfzig Jahre alt  – und manchmal  – aber nur ganz manchmal kokettiert sie mit ihrem Alter.

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Und excuses reimt dazu:

Das wahre Alter eingestehen,
scheint irgendwie verpönt.
So flunkern Frauen unbesehen.
Man hat sich dran gewöhnt.

Die einen geben Jahre zu,
um jünger zu erscheinen.
Die andern ziehen welche ab,
weil sie ja immer meinen,

dass man nicht merkt,
wie alt sie sind,
als spiel’ es eine Rolle.
Sie halten andere für blind!
Das ist daran das Tolle.

LG
Curt

Ein gezielter Beinschlag würde genügen, um das Äußere dieser Frau zu ruinieren, die sich sehr vorsichtig im Wasser bewegt. Ein gefährliches Unterfangen, allen Wasserspritzern aus dem Weg zu gehen, denn auch hier im Schwimmbecken verzichtet sie nicht auf das vollständige Make-up inclusive falscher Wimpern und der hochtoupierten Frisur, die mit mindestens einer Dose Haarspray versiegelt wurde.

Ein schwimmendes Kunstwerk – so könnte man fast sagen. Heute hat sie noch mal Glück gehabt. Aber morgen – wer weiß?

Ein gezielter Beinschlag…

Momentaufnahme: Hotelbar

Schon beim Betreten der Hotelbar fiel sie ihm auf. Sie lächelte ihn an – und irgendwie war es um ihn geschehen. Er bestellte sich einen Drink und wählte den Sitzplatz so, dass er sie aus den Augenwinkeln beobachten konnte.

Es vergingen nur wenige Minuten und sie erhob sich von ihrem Platz, steuerte zielsicher auf ihn zu und fragte, ob sie sich zu ihm setzen dürfe. „Aber gerne“, antwortete er erfreut und keine Spur überrascht oder verlegen.

Was für eine charmante, gepflegte und überaus gebildete junge Frau leistete ihm da Gesellschaft! Er konnte sein Glück kaum fassen und zeigte sich äußerst spendabel.

Das einzige, was ihm missfiel, war, dass sie in unregelmäßigen Abständen, aber doch unverhältnismäßig häufig auf die Uhr sah. War sie etwa noch verabredet?

„Möchten Sie noch etwas trinken?“, fragte er und versuchte, tief in ihre Augen zu blicken.

„Ja, gerne“, antwortete sie, den Augenkontakt aufrecht erhaltend, „aber ab jetzt kostet Sie meine Gesellschaft mehr als nur ein paar Drinks. Und wenn ich mit auf Ihr Zimmer gehe, dann erfülle ich Ihre Wünsche nicht umsonst!“

Es traf ihn wie ein Schlag und er war von einem Moment auf den anderen stocknüchtern. Was für ein hoffnungsloser und naiver Romantiker war er doch. Er war im Begriff gewesen, sich zu verlieben in eine geschäftstüchtige Frau…

Momentaufnahme: Alter

Es tut mir unendlich weh, zu sehen und mitzuerleben, wie meine Eltern sich dem Alter beugen müssen – wie sie verharren wollen in Lebensumständen, die sie gar nicht mehr aufrecht erhalten können, weil ihnen die Kraft fehlt, die Gesundheit und die Weitsicht.

Ich fühle mich ohnmächtig und will nichts entscheiden über ihre greisen Häupter hinweg. Es soll ihnen gut gehen, mir aber auch. Unterschiedliche Vorstellungen prallen aufeinander. Es wird eine Lösung geben…

Ja, wo sind sie, die Autoren??? – Die schreibenden Männer???

Wird das Schreibprojekt ausschließlich von Frauenkreativität leben???

Nochmals spreche ich eine herzliche Einladung zu meinem Schreibprojekt aus, das nun jeden Monat stattfinden soll!

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