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Herr Moppelmann – mo 20

Endlich war Josh im Bett. Heinz Werner atmete auf, ein gemütlicher Abend mit Marlene lag vor ihm. Der Rotwein war entkorkt, die Gläser standen bereit, als sie sich zu ihm setzte und ankuschelte.

„Na, ganz schön anstrengend mit Josh und mir – oder?“, fragte sie.

„Eher ungewohnt, würde ich sagen, es ist schon so lange her, dass meine Kinder klein waren. Und damals, nun ja, da hat meine Frau das alles gemanagt, so viel habe ich von den Kindern gar nicht mitbekommen, ich hatte meinen Job, wollte was werden…“, antwortete er.

„Dann bist du der typische Karrierepapa“, warf sie ein, „Komm, lassen wir das, ich möchte das letzte Wochenende vor den Abiturklausuren genießen. Wenn ich die nämlich erst auf meinem Schreibtisch liegen habe, dann ist es besser, dass wir uns nicht sehen. Die Korrektur ist so zeitintensiv, da könntest du mir lediglich beim Schlafen oder Korrigieren zusehen.“

Heinz Werner konnte diese Äußerung nicht richtig deuten: „Wie? Das ist jetzt ein Scherz – oder? Du übertreibst…“

„Nein, das ist die arbeitsintensivste Phase im Schuljahr – aber da kommen wir schon durch…“

„Da hilft also nur Lieben auf Vorrat, am besten fangen wir gleich damit an…“

Und so verlief dieses Wochenende sehr harmonisch. Die Speicherkapazität für Streichel- und Liebeseinheiten schien unendlich.

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Sibylle saß, kaum dass sie am Samstag aufgestanden war, schon wieder an ihrem Lap-Top.  Eine Nachricht von Rainman: Liebe Happyend! Vielleicht entscheidest du ich ja doch noch für uns und die Lammkeule. Gruß – Ulf

Na, der ließ ja nicht locker! Aber wer konnte garantieren, dass er wirklich zwei Kinder hatte und nur ein gemeinsames Abendessen auf dem Programm stand? Vorsicht! Niemals sofort in fremde Wohnungen! Daran würde sie sich halten, auch wenn es noch so harmlos schien.

Zweite Nachricht von „Irrlicht“: Man trifft im richtigen Leben selten eine Frau mit solch einer charmanten Ausstrahlung wie du sie hast. Darf ich es wagen zu hoffen, dass du mir antwortest? Ich würde dich gerne persönlich kennenlernen. Herzlichst – Günther

Upps, wer hatte sich den da verirrt??? Schnell klickte sie das zugehörige Profil an, das die üblichen Vorzüge in besonderem Maße hervorhob und ihn als wahren Gentleman erschienen ließ:  belesen, weit gereist, sehr erfolgreich (im medizinischen Bereich), sportlich (Golf, Segeln, Tennis), außerordentliche Kenntnisse in der Zubereitung der gehobenen Gourmet-Küche…

‚Nun, warum nicht?‘, dachte Sibylle, ‚antworten kostet nichts. Mal sehen, wer sich wirklich dahinter verbirgt, hinter diesem Mann, der zwölf Jahre älter ist als ich.‘  Also schrieb sie: Hallo Günther!  Dein Foto und das zugehörige Profil erscheinen mir recht interessant. Vielleicht magst du noch ein wenig mehr über dich schreiben. Gruß – Sibylle

Wie gesagt, meine Nachbarin bleibt cool, obwohl ich sie gestern noch einmal vehement zur Rede gestellt habe. Und da habe ich eindeutig den Kürzeren gezogen! Mist! Sie hat sich beim Bauamt ganz genau erkundigt – und ist im Recht! Zu dumm, dass ich mich vermessen habe in meiner unbändigen Wut.

Aber was heißt eigentlich Recht??? Sie hat die ganzen Vorteile und ich die Nachteile – da kann ich ihr nur noch damit kommen, dass sie mich menschlich enttäuscht hat – und das wird sie zu spüren bekommen. Da wollen wir doch mal sehen, wer am längeren Hebel sitzt! Es ist nur schade, dass ich mit meiner Meinung so ganz allein auf weiter Flur bin – die Nachbarn, die ich ganz vorsichtig abgeklopft habe, äußern durchweg, die Neugestaltung sei eine Bereicherung der gesamten Wohnanlage – dass ich nicht lache!!

Aber irgendwie bleibt mir das Lachen im Halse stecken…

Wie? Das soll jetzt auf einmal alles vorbei sein? Nicht mehr die Abkürzung über das Nachbargrundstück nehmen zu können? Das Kind zum Fußballspielen in den fremden Garten schicken? Schnell mal rüberhuschen und durch die offenen Terassentür eindringen bis ins Wohnzimmer, um der Nachbarin etwas mitzuteilen? Die Gartenmöbel ungefragt ausleihen? Sich an den Küchenkräuter bedienen? …

Wie unpraktisch doch der neue Zaun ist!! Da will sich doch tatsächlich jemand abgrenzen, da will mich jemand ausschließen, da nimmt mir jemand etwas von meinem Lebensraum, von meiner Bequemlichkeit.

Dagegen muss ich etwas tun, obwohl ich zugeben muss, dass alles sehr geschmackvoll ist. Wenn ich mir vorstelle, wie dann alles nett bepflanzt ist und zugewachsen, dann könnte ich sogar vor Neid ganz gelb werden – da entsteht ja ein kleines Paradies… Aber nicht mit mir! So nicht! Gegen diese beginnende Idylle muss früh genug angegangen werden – wehret den Anfängen. Wo kommen wir denn hin, wenn hier jeder macht, was er will?

Darüber muss gesprochen werden: Zaun zu hoch – Schattenwurf – Bedenken, dass die eigenen Pflanzen eingehen – Grenzbebauung – Beeinträchtigung des eigenen Lebensgefühls – Rechtsanwalt – Zaun  unbedingt  um drei (!) Zentimeter kürzen… Anspruch geltend machen, dass die Nachbarin auch die Pflanzen bezahlt, damit ich den Zaun von meiner Seite begrünen lassen kann…

Komisch, ich springe im Dreieck, meine Stimme wird lauter, überschlägt sich – und meine Nachbarin, die bleibt ganz cool.

Nicht davor und nicht danach

Ein Gedicht, das spürt man, wenn man an sein Lieblingsgedichr denkt, ist nie nur die Summe seiner Teile, sondern immer ein Organismus, der stirbt, wenn man ihn zerschneidet. Deswegen ist auch wahr, was oft behauptet wurde: Gedichte versteht man nur ganz, während man sie liest. Nicht davor und nicht danach. das ist ähnlich wie mit der Musik. Gedichte sind keine Gegenstände, eher Zustände. Deswegen können wir sie auch schlecht zu uns herüberziehen in die Prosa unserer Verhältnisse. Wir müssen uns schon aufmachen, zu ihnen zu kommen. Nur so erfahren wir endlich etwas vollkommen Neues.

Iris Radisch: „Nie wieder Versfüßchen“ aus DIE ZEIT vom 24.05.2007

Es sommert…

So viel Sommer – so wenig TEXT!

Da bin ich wohl mächtig ins Sommerloch gepurzelt… Aber schön ist es dort – es gab viel zu feiern, zu heiraten, zu gärtnern, zu basteln, zu entwerfen und zu verwerfen, zu planen und durchzuführen, zu urlauben und wieder zu arbeiten…

Kurzum: Es sommerte bis jetzt sehr intensiv – und das wird es hoffentlich noch lange!

Aber bald geht es weiter mit den Moppelmann-Episoden – Stoff ist genug da! – und demnächst  bin ich auch wieder unterwegs zum Lesen und Kommentieren auf euren Blogs, denn vergessen habe ich euch alle nicht!!!

Ich wünsche allen LeserInnen und MitbloggerInnen eine schöne und intensive Zeit.

Herzliche Grüße von Donna

Herr Moppelmann – mo 19

Endlich hörte er Marlene und Josh, die mit den Einkäufen zurückkamen. Die Begrüßung war intensiv – Heinz Werner hätte Marlene am liebsten nicht mehr losgelassen – und klebrig, denn Josh hatte es irgendwie hinbekommen, mit seinem Dauerlutscher eine Ganzkörperbehandlung durchzuführen.

Während er das Abendessen zubereitete, vernahm er die heiteren Geräusche aus dem Badezimmer, wo Josh gebadet wurde. Seine Überlegungen kreisten nur um zwei Fragen : Wie schnell würde Josh einschlafen? Und WANN??

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Kauleisten-Helmut blieb am Ball, mit neuem Provisorium hatte er wieder so richtig  Biss und er rief sie fast jeden Abend an, um ein neues Treffen zu vereinbaren. Sibylle schob sehr viel Arbeit vor, um ihn erst einmal abzuwimmeln. Nein, ehe die Frontsanierung nicht final abgeschlossen war, würde sie sich nicht in seine Nähe wagen. So ein Desaster würde sie ein zweites Mal nicht überleben!!

Sibylle – Nickname: „Happyend“ – klickte auf das Profil von „Rainman/Ulf“. Ein durchaus sympathischer Mann lächelte sie da an – nicht schlecht. Ingenieur, geschieden, Wochenendpapa, Freizeitgestaltung mit realistischen Angaben…    Schnell formulierte sie eine Antwort und befand sich schneller als gedacht in regem Mail-Kontakt.

Happyend: Hallo Ulf! Danke für deine Mail. Ja, ich würde dich auch gerne kennenlernen… LG – Sibylle

Rainman: Ist dein Foto aktuell?? Ich meine nur, weil hier ja so viel geschönt wird. Wo wohnst du? Gruß von Ulf

Happyend: 1. Antwort: JA! – 2. Antwort: Hamburg

Rainman: 1.Kommentar: Gut, werde ich dann überprüfen. 2. Kommentar: Prima, das ist ja gar nicht so weit weg!  Ich bin nicht so dafür, dass man sich lange schreibt, ich würde mich sehr gerne mit dir treffen. Habe aber die Kinder das Wochenende bei mir und kann nicht weg. Nächste Woche???

Happyend: Nächste Woche ist gut. Wie alt sind deine Kinder?

Rainman: 12 (Tabea) und 8 (Marco), sie werden dich nicht beißen und ich bin auch pflegeleicht!

Happyend: Das sagen alle!

Rainman: Rückzieher?

Happyend: Nö. Bin gespannt.

Rainman: Wie spontan bist du?

Happyend: Kommt drauf an.

Rainman: Du könntest dich ins Auto setzen und mit uns zu Abend essen…

Happyend: So spontan bin ich dann auch wieder nicht! Sorry! Das erste Mal würde ich dich gerne ohne deine Kinder sehen. Oder hast du alleine Angst??

Rainman: Vielleicht bin ich etwas schüchtern, aber nur ein bisschen… Das musst du herausfinden. Außerdem wäre das doch eine gute Gelegenheit für dich, uns alle auf einmal kennenzulernen. Es soll doch insgesamt passen!

Happyend: Ja, passen sollte es unbedingt. Lass uns ein Date für die nächste Woche ins Auge fassen.

Rainman: Ok, wie du willst. Morgen gibt es Lammkeule…

Happyend: Schönes Kinderwochenende und viel Spaß!

Rainman: Danke! Dir auch ein schönes WE! Melde mich! Ulf

Na, das war ja ein Spaßvogel! Daten auf jeden Fall und dann weitersehen… Ein Mann mit zwei Kindern in diesem Alter? das konnte ganz schön anstrengend werden…

Herr Moppelmann – mo 18

Heinz Werner klingelte Sturm, musste aber dann enttäuscht den Haustürschlüssel benutzen, um in die Wohnung zu kommen. Auf dem Esszimmertisch fand er eine Nachricht: „Sorry! WE-Einkauf! BG – M.“ – umrandet von einem sehr asymmetrisch geratenem Herz. Egal, dafür schlug seines um so dynamischer und symmetrischer und er freute sich auf Marlene und ein bisschen sogar auf Josh, über dessen Spielzeug er hinwegsteigen musste, als er auf der Suche nach einer passenden Blumenvase war.

BG – Bis gleich! – Wo sie nur so lange blieb??

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Sibylles drittes Date war irgendwie von ganz spezieller Art gewesen. Entgegen den Empfehlungen für Dating-Neulinge, sich erst einmal unverbindlich auf einen Kaffee zu treffen – weil man da schnell den Rückzug antreten konnte – hatte sie sich mit „Vivaldi“(=Helmut), einem Orchestermusiker, zum Abendessen verabredet. Schon am Telefon fiel ihr seine undeutliche Aussprache auf, und den Grund für diese Beeinträchtigung bei der Sprachgebung gab er auch schnell preis, nachdem sie sich begrüßt hatten und sich nun gegenüber saßen. Ein wenig gehemmt beim Sprechen und Lächeln, erzählte er ihr ausführlich von vielen schmerzhaften Zahnarztsitzungen und seinem Frontprovisorium, mit dem er kautechnisch sehr zufrieden sei, aber doch eben mit seiner stark veränderten Aussprache nicht.

„Aber egal“, sagte er abschließend, „davon wollen wir uns gar nicht beeinträchtigen lassen, das ist ja keine Krankheit, das sind nur bauliche Maßnahmen, die bald zum Abschluss kommen, und dann ist alles schöner als die ursprüngliche natürliche Ausstattung.“

Die Unterhaltung mit ihm war sehr nett, er war dezent mit seinen Fragen, war darauf bedacht, dass die Redeanteile gleichmäßig verteilt waren und zeigte wahres Interesse an Sibylle, die sich mehr und mehr entspannte, denn so richtig viel Dating-Routine hatte sie ja noch nicht. So plauderte man über dies und das, bis die Speisen serviert wurden und Helmut unbefangen mit großem Appetit zu essen begann. Sibylle war da ein wenig zögerlicher. Wenn sie aufgeregt war – und beim dritten Date durfte man das ja noch sein! – wollte ihr Magen eigentlich in Ruhe gelassen werden. Helmut schenkte galant von dem Wein nach, fragte, ob sie mit ihrem Gericht zufrieden sei und konzentrierte sich wieder auf die die Nahrungsaufnahme, die jäh unterbrochen wurde, da sich das Provisorium, wohl ausgelöst durch unbedachte Überbeanspruchung und zu großes Vertrauen in das Material und dessen Verankerung in verbliebene gesunde Zähne, verabschiedete, indem es in zwei Teile zerbrach. Einfach so, ohne Vorankündigung! Aber Helmut wusste sich zu helfen. Eine Serviette diente dazu, das Teil, das ihn so jämmerlich im Stich gelassen hatte, mitsamt des Halbzerkauten aufzufangen.

„Das ist mir jetzt aber sehr unangenehm, Sibylle“, nuschelte Kauleisten-Helmut, der nun ohne Schneidezähne weiteraß und zum Glück sehr mit sich selbst beschäftigt war, so dass er nicht merkte, dass Sibylle mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln versuchte, einen Lachanfall zu unterdrücken. Das war ja Comedy pur!! – Nachdem Helmut nach dem Essen das Mundinnere mit Wein gründlich durchgespült hatte, schnappte er sich die Serviette, entschuldigte sich und suchte die Toilette auf. Es dauerte  eine geraume Weile, bis er wiederkam. Diese Zeit brauchte Sibylle aber auch, um sich wieder zu fassen. Meine Güte!! Es gab fast nichts Unerotischeres als ein Mann ohne Zähne!! Und dann die ungenierte Fortführung des Tellerleerens mittels ausschließlicher Backenzahnbenutzung – das musste man erst mal bringen, ohne vor Scham in den Erdboden zu versinken.

„Nichts zu machen“, war sein Kommentar als er sich wieder setzte, „ein glatter Bruch, das Ding ist hin, da muss ich morgen früh sofort Abhilfe schaffen.“ Er hielt ihr das gereinigte Provisorium hin, das sie nur widerwillig in Augenschein nahm.

‚Wie komme ich aus dieser Nummer raus?‘, das war die Frage, die Sibylle am meisten beschäftigte. Helmut schaute sie an mit deutlich eingefallener Oberlippe und zusammengekniffenem Mund, was sein angedeutetes Lächeln sehr verzerrte.

„Dumm gelaufen, aber ich hoffe, dass du mir noch eine zweite Chance gibst“, glaubte sie  aus dem, was sie hörte, herauszufiltern.

Helmut bezahlte und überließ dem Kellner ein großzügiges Trinkgeld.

Herr Moppelmann – mo 17

Heinz Werner wäre beinahe vor lauter Freude, in wenigen Minuten endlich Marlene in seinen Armen zu halten, an dem Blumengeschäft vorbeigefahren. Viel zu lange dauerte es ihm, bis die Verkäuferin den Strauß roter Rosen gebunden hatte. Mehrmals sah sie ihn verschmitzt an und wünschte ihm ein schönes Wochenende.

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Sibylle war wütend. Was bildete sich dieser Kerl ein! Kommt da zu einem Date und meint, nachdem er sich einen positiven optischen Eindruck verschafft hat, da könnte so auf Knopfdruck eine Beziehung beginnen. Meine Güte, wie schlicht war er gestrickt, dass er glaubte, die Frauen würden nur darauf warten, sich mit jeder Faser ihres Seins gefügig an sein Leben anzuschmiegen…

Als sie zu Hause ankam, schaltete sie sofort ihren Laptop an, um E-Mails zu checken und zu schauen, was sich in dem Single-Forum getan hatte. Eins stand fest: Sie verbrachte mehr Zeit vor der Kiste als ihr lieb war und dieses frustrierende Dating-Geschehen bestimmte zunehmend ihren Tagesablauf… Zwei neue Sympathieclicks blinkten sie da an von „Bastelmanni“ und von „Karacho“. Mittlerweile wusste sie, dass so ein Click  nicht mehr Bedeutung hatte als ein Lächeln, das einem jemand im Vorübergehen schenkt, und dass die Wahl des Nicknames wirklich Rückschlüsse auf die Person dahinter zuließ, war er doch auf jeden Fall so etwas wie eine Visitenkarte. Vergessen konnte man auf jeden Fall  „Knutschmann“,  „Knutschen123“,  „Knutschlover“, „Knutschbär“, „Knutschen-live“, „Schnuffi-Knutsch“ oder „Knutsch-Gum“.

Eine neue Nachricht hatte sie von „Rainman“: Liebe Unbekannte! Dich würde ich gerne kennenlernen. Sehr gerne! Darf ich dich anrufen? Liebe Grüße von Ulf

Herr Moppelmann – mo 16

Heinz Werner hatte sich den Freitag freigeschaufelt. Mittlerweile schaffte er es, bei guter und vorausschauender Planung spätestens um 14.00 Uhr die Kanzlei zu verlassen, um dann Richtung Bielefeld zu eilen. Marlene… Er würde sie küssen, bis der Arzt kommt… Nein, bevor der käme, würde Josh da sein. Garantiert!

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Kandidat zwei verspätete sich exakt um drei Minuten, was gleich dazu führte, dass er sich in einem Redeschwall, hinter dem sich seine Nervosität verbarg, lang und breit entschuldigte. Sibylle ließ ihn reden, hatte sie doch so die Möglichkeit, ihn in Augenschein zu nehmen. Da er gleich von der Arbeit zu dem Treffen gekommen war, trug er einen Anzug, zu dem die Krawatte (ziemlich viel rot!) und die Schuhe (viel zu sportlich!) überhaupt nicht passten. Nun gut. – Es stellte sich heraus, dass er in seinem Profil zwar angegeben hatte, dass er selbständig ist – weil das bei Frauen immer gut kommt… – er aber Versicherungsfachwirt sei. Voller Inbrunst erzählte er von seinem Gebiet und seinen Kunden, von den im Jahr abgerissenen annähernd 100.000 gefahrenen Kilometern, von Abschlüssen, Prämien ud Provisionen. Sibylle rührte in ihrem Cappuccino – ein Versicherungsvertreter! – oh Gott, gleich würde er nach ihrer Haftpficht- und Hausratversicherung fragen und ihr erklären, dass sie total unterversichert sei. Aber dazu kam es zum Glück  nicht. Ihr Gegenüber – nicht unsympathisch, gepflegt und eloquent, aber kleidungsmäßig nicht ganz stilsicher – lehnte sich zufrieden zurück und schaute sie direkt an. Wartete er etwa auf Beifall?

Sie hielt dem Blick stand und schwieg. Immerhin war bis jetzt eine gute halbe Stunde vergangen, ohne dass er überhaupt irgendetwas von ihr hätte wissen wollen. Mehr als das, was sie per Mail ausgetauscht hatten – und das waren die Eckdaten – schien ihn nicht zu interessieren. Deshalb verwirrte sie seine Frage, ob sie es sich mit ihm vorstellen könne, sehr. Er wartete ihre Antwort gar nicht ab, sondern hob erneut an, dass sie sich sehr schnell an seinen Arbeitsrhythmus gewöhnen würde, unter der Woche sei er viel unterwegs, hätte aber auch immer 1-2 Tage in seinem Home-Office zu tun, leider manchmal auch am Wochenende. Interessen? Fußball, ja, so richtig ins Stadion! Hobbys? Nee, keine Zeit!

Ok, das war ja ziemlich eindeutig. Die Welt dieses Vertreter-Fuzzis schien sehr übersichtlich zu sein. Sibylle fühlte sich als Mensch nicht wahrgenommen – und als Frau schon gar nicht!  Sie angelte in ihrer Handtasche nach dem Portemonnaie, legte einen 5-Euro-Schein auf den Tisch und stand auf.

Ehe sie etwas sagen konnte, hob Mr. Insurance an – einfühlsam und charmant wie sie ihn in der ganzen gemeinsam verbrachten Zeit kennen gelernt hatte: „Wie, du willst jetzt schon aufbrechen? Nein, so eine attraktive Frau lasse ich doch nicht so einfach gehen. Ich dachte, es sei alles klar zwischen uns!“

Mit dem bezaubernsten Lächeln und einer mittelmäßig erotischen Stimmlage sagte Sibylle nur: „Sorry, deine Vertragsbedingungen kann ich nicht akzeptieren, ich wünsche dir viel Glück bei deinen nächsten Dates!“

Herr Moppelmann – mo 15

Heinz Werner konnte seinen analytischen Verstand trotz anhaltender Verliebtheit nicht ausschalten. Seine Gedanken waren zu oft bei Marlene, einer Frau, die endlich mal auf Augenhöhe mit ihm war, die zärtlich und hingebungsvoll war, witzig, schlagfertig und mitten im Leben stand – aber leider nicht inmitten seines Lebens.

Ihr Zusammensein beschränkte sich anfänglich auf jedes zweite Wochenende – da war Josh bei seinem Vater und Marlene bei ihm in Hamburg. Herrlich!  Dann sahen sie sich jedes Wochende – er hatte Josh kennen gelernt und schmerzlich erfahren, dass Marlene als allein erziehende Mutter ein ganz besonders inniges Verhältnis zu ihrem Sohn hat. An den „Plus-Kind-Wochenenden“ genoss er nicht wie gewohnt ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, sondern musste sich damit abfinden, dass ein kleines quirliges und aufgewecktes Bürschchen, das kein Turboloch kannte, den Tagesablauf maßgeblich bestimmte – und die Nächte leider teilweise auch. Er hatte sich das erste Mal sehr erschrocken, als er sich nachts im Halbschlaf an Marlene ankuscheln wollte und bemerkte, dass Josh sich zwischen sie gedrängelt hatte und nun seelenruhig zwischen ihnen schlief. Einerseits war er gerührt über das Vertrauen, das ihm da entgegengebracht wurde, andererseits war es ein himmelweiter Unterschied mit der Traumfrau allein aufzuwachen oder mit der Traumfrau + dreijährigem Sohn…

Heinz Werner musste sich zähneknirschend eingestehen, dass auch die jüngere Hälfte dieses Doppelpacks sein Herz im Sturm erobert hatte, er diese Zugabe aber zunehmend als äußerst anstrengend empfand. Da blieb zu wenig Zeit für Nähe zu Marlene, da war ein kleiner Mensch, der mit seiner atemberaubenden Präsenz so viel Raum und Zeit beanspruchte, dass er sich oft unbeachtet und zurückgesetzt fühlte…

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Sibylle hatte mittlerweile drei Dates hinter sich gebracht. Ganz schön spannend war das gewesen und leider auch ernüchternd.

Kandidat eins wartete in dem verabredeten Café bereits auf sie und winkte ihr schon von Weitem entgegen. Sibylle hätte am liebsten auf dem Absatz kehrt gemacht, erblickte sie doch einen Mann, der mindestens 10 Jahre älter war als auf den Fotos und in dieser Zeit sichtlich zu einem Opa-Typ mutiert war. Gut erzogen, wie sie war, trank sie einen Kaffee mit ihm, plauderte höflich und oberflächlich, entzog ihm ihre Hand, die er bereits nach wenigen Minuten ergriffen hatte, und hörte nur mit halbem Ohr hin, was er alles erzählte, da sie krampfhaft überlegte, wie sie sich schnell und elegant verabschieden könnte. Nach einer knappen halben Stunde nutzte sie eine kleine Redepause ihres Gegenübers, sagte, dass sie das Gefühl habe, dass es mit ihnen einfach nicht passen würde, stand abrupt auf, bezahlte die gesamte Rechnung am Tresen und verließ das Café, ohne sich überhaupt noch einmal umzudrehen.

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